Interview mit Stephan Luethy
1) Wie bist Du dazu gekommen Musicaldarsteller zu werden ?
Dass mich Musik begeistert und ich sie zum Gegenstand meines Berufes machen möchte, war schon ziemlich früh klar. Ursprünglich wollte ich aber Klavier studieren, um Unterricht zu geben. Zum Musical bin ich erst durch eine (glückliche) Verkettung verschiedener Umstände gekommen: Mein erster Musicalbesuch weckte mein Interesse an dieser Form, Geschichten zu erzählen. Besonders gut daran gefällt mir, wie die "Disziplinen" Schauspiel, Gesang und Tanz ineinander greifen und sich ergänzen. Aber ich hätte mir damals nie zugetraut, selber so etwas zu machen. Später habe ich für meine Abitur-Abschlussarbeit das Thema Musical gewählt, bei meinen Recherchen von einer Musicalschule ganz in meiner Nähe erfahren und dort den Tag der offenen Tür besucht. Danach hat es mich nie mehr ganz losgelassen und zunächst habe ich erste Bühnen-Gehversuche im Chor der Thuner Seespiele gemacht. Schließlich absolvierte ich kurz nacheinander die Aufnahmeprüfungen am Konservatorium (Klavier) und an der Musicalschule. Zwar habe ich beide Prüfungen bestanden, aber da ich am Konservatorium nur auf die Warteliste für einen Studienplatz kam, war mein Weg Richtung Musical entschieden.
2) Du hast Deine Ausbildung an der Swiss Musical Academy in Bern
gemacht. Wie hast Du Deine Ausbildung erlebt?Zeit als Darsteller ?
Hier hatte ich wohl einfach Glück - die ersten Jahre im Beruf wurden mir
sehr leicht gemacht. Dies hat zu großen Teilen mit meinem
Erscheinungsbild zu tun: Ich bin von kleiner Statur und wirkte damals
sehr jugendlich. Dadurch konnte ich eine Rollen-Nische bedienen, für die
es nur eine Handvoll Darsteller auf dem Markt gab. Also habe ich mich
auf alle Stücke gestürzt, in denen Kinderrollen zu besetzen waren.
Meine größte Herausforderung war und ist wohl mein Hang zum
Perfektionismus. Ich wollte mir nie Fehler erlauben und setzte mich
damit selber so sehr unter Druck, dass ich die eigenen Ansprüche gar nie
erfüllen konnte und daher oft frustriert war. Ich brauchte eine lange
Zeit um zu lernen, dass eine fehlerfreie Vorstellung nicht möglich ist,
und dass es im Probenprozess sogar notwendig ist, Fehler zu machen und
zu straucheln, um eine lebendige Rollengestaltung zu finden.
Inzwischen kann ich mich aber zum Glück über eine gelungene Vorstellung
freuen, ohne mich über kleine Patzer oder Ungenauigkeiten zu ärgern -
denn ich weiß, dass ich in jedem Moment mein Bestes gegeben habe.
4) Welche Rolle, die Du bis jetzt gespielt hast, war Deine
Lieblingsrolle und warum?
Es gibt so viele Gründe, warum ich eine Rolle gerne gespielt habe, dass
ich auf diese Frage keine Antwort geben kann.
Manchmal ist es eine besonders schöne emotionale Reise die man
porträtieren darf, manchmal darf man besonders witzige Momente spielen,
manchmal heldenhaft sein, manchmal ist es das Team auf und neben der
Bühne, was eine Produktion unvergesslich macht - oder die Musik,
Choreographie, der Spielort, etc...
Eine Rolle, die mich lange eng begleitet hat, ist Baby-John in der WEST
SIDE STORY. Ich durfte sie in vier unterschiedlichen Inszenierungen
erarbeiten und daher viele Jahre mit diesem schönen Musical verbringen.
Eine sehr teure Erinnerung ist auch der Eugen in MEIN NAME IST EUGEN in
Zürich - eine witzige, rührende Geschichte und so wunderschön
intelligent und phantasievoll umgesetzt, mit einigen lieben Freunden im
Team und in der Nähe meiner Heimat und Familie.
Aber da gab es ja auch noch Pinocchio, Moq, Peter Pan, Mogli und viele
andere, die ich keinesfalls hintenanstellen möchte!
Traumrolle ?
Hmmm, tatsächlich habe ich nicht DIE Traumrolle. Ich würde gerne mal ein
Stück von Stephen Sondheim spielen - den Toby in SWEENEY TODD oder Jack
in INTO THE WOODS.
Aber viel wichtiger ist es mir, dass mich jede Rolle auf irgendeine
Weise herausfordert und ich daran und damit etwas dazulernen kann.
6) Was war das erste Musical, das Du gesehen hast, wie alt warst Du
und was hat Dich daran fasziniert ?
Das war CATS. Als ich in der fünften Klasse war, gastierte die Tournee
in Bern.
Ich glaube, am meisten hat mich daran fasziniert, was da für eine bunte
Lebendigkeit auf der Bühne gezeigt und wie kreativ mit Bühne/Kostüm
umgegangen wurde - zum Beispiel, wie aus Schrott plötzlich eine
Eisenbahn entsteht...
7) Was machst Du um Dich in der Zeit zwischen Audition und Ergebnissen
nicht verrückt zu machen ?
Vielleicht hat das ein Wenig mit langjähriger Übung zu tun - aber
inzwischen gelingt es mir meist ganz gut, nach einer Audition diese
ziemlich schnell in den Hintergrund zu schieben und meine Gedanken auf
Anderes zu fokussieren - auf das Stück, welches ich gerade spiele, auf
ein Treffen mit Freunden oder auf einen schönen Herbstspaziergang...
Wenn die Audition vorbei ist, kann ich an meiner Präsentation nichts
mehr ändern und habe keinerlei Einfluss darauf, wie letztlich das
Ergebnis sein wird. Also will ich da keine Energie mehr drauf vergeuden,
sondern mich Anderem zuwenden.
8) Bei welchem Musical hast Du die meisten Erfahrungen gesammelt?
Da ich meine Arbeit als konstantes Lernen sehe, gibt es hier nicht die
eine Antwort:
Bei WICKED und EWIGI LIEBI habe ich erfahren, wie Großproduktionen
funktionieren und was es heißt, eine Rolle über Monate hinweg 8 mal die
Woche zu spielen. Bei der NIEDERDORFOPER und DER TAG, AN DEM DER PAPST
GEKIDNAPPT WURDE habe ich versucht zu ergründen, wie man eine Pointe
setzt. Bei SHREK habe ich viel über meine Stimme und Belastbarkeit
gelernt. Bei ANNA GÖLDI und HAIR hatte ich meine ersten Gehversuche, als
Dance-Captain Verantwortung für eine Produktion zu übernehmen. Bei PETER
PAN habe ich Grundlagen in Fechten und Panflöte spielen gelernt und bei
ADDAMS FAMILY, dass ich auch mal ruhig stillstehen kann...
Und dann gab es da noch mehrere Konkurs- und Problem-Produktionen mit
Rechtsstreitigkeiten, bei denen ich nicht wenig über meine Rechte als
Arbeitnehmer und über unser Rechtssystem gelernt habe.
9) Hast du ein Lieblingstheater ?
Nein.
Auch wenn Großproduktionen mit ihren finanziellen und technischen
Möglichkeiten durchaus ihren Reiz haben, so spiele ich fast lieber noch
in kleinen Theatern, wo man die Energie des Publikums sehr direkt spürt
und wo man durch eingeschränkte räumliche/technische Möglichkeiten
gezwungen ist, kreative und spannende Lösungen zu finden.
Aber besonders gerne spiele ich Freilichttheater. Es kann zwar
wahnsinnig schwierig sein, wenn man den Elementen so ausgesetzt ist -
aber gleichzeitig hat es etwas Befreiendes, Echtes, Einfaches und
manchmal geradezu Magisches.
Wenn zum Beispiel Heidi aus dem Hause Sesemann abhaut und auf den
Kirchturm klettert, um die vermissten Berge wiederzusehen. Und genau im
Moment wenn sie freudestrahlend ausruft "ich seh sie!" reißt die
Wolkendecke auf und die Sonne strahlt auf die echten Berge im
Hintergrund - da kriege ich noch heute Gänsehaut, wenn ich daran
zurückdenke!
10) Was hast Du für ;,2022" geplant ?
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